Eine außergewöhnliche Rhöner Tradition

Seit dem 19. Jahrhundert ziehen zur Fastnacht seltsam gekleidete Figuren durch Oberelsbach, Weisbach, Ginolfs und Unterelsbach und vertreiben den Winter. Ihr Gesicht ist von einer Maske verdeckt, die die örtlichen Holzschnitzer nach historischen Modellen anfertigen.

DSC_8475Es ist still. Keiner spricht. Noch nicht einmal das Radio läuft. Nur ein leises Kratzen erfüllt den Raum. Hin und wieder klappert es leise. Geschäftig. Thomas Eyring steht an seinem Pult, Melanie Weigand direkt daneben. Vater und Tochter arbeiten hochkonzentriert, haben nur Augen für die Stücke Holz vor ihnen, scheinen in ihre Arbeit versunken zu sein. Immer wieder setzen sie das Schnitzeisen an, tragen Holz ab. Nur ein kleines Bisschen. Nur einen Span. Mal ist dieser etwas breiter, dann wieder ganz kurz. Metall versus Linde. So vergehen die Minuten, die Stunden. So verwandelt sich das Holz. So nimmt es menschliche Züge an. Schwungvoll, liebevoll, kunstvoll. Nicht nur Augen, Wangen, Nase und Mund entstehen. Auch Augenbrauen, Schnurr- und Spitzbart werden definiert. Ja selbst der Haaransatz und kleine Fältchen auf der Stirn und an den Augen sind zu erkennen. Mit Feingefühl herausgearbeitet, handgemacht.

 

Etwa einen Tag dauert es, bis aus dem doch recht unförmig wirkenden Rohling ein Gesicht wird, genauer: die Maske vom „Weisbicher Jüd“. Doch fertig ist sie noch lange nicht. Noch fehlt die Farbe. Brigitte Eyring wird sie auftragen, später. Jetzt kümmert sie sich erstmal um die Britschen, eine Art Holzklappern aus Buche. „Sie sind dazu da, die Leute zu ärgern und Krach zu machen“, erklärt sie. Geometrische Muster malt sie darauf, in allen Farben. Gekonnt setzt sie den Pinsel an, streicht übers Holz. Gerade, ohne zu wackeln, fingerfertig. Ruck-zuck ist das Holz verschönert, schon greift sie zum nächsten Rohling. Jetzt, zur Faschingszeit, sind die Krachmacher stark gefragt, ebenso die Masken vom „Weisbicher Jüd“. Entsprechend herrscht in der Werkstatt von Thomas Eyring Hochbetrieb.

 

Seit dem 19. Jahrhundert werden die Larven in Weisbach, einem Ortsteil des Marktes Oberelsbach, angefertigt. Ihr Markenzeichen ist das freundliche weiße DSC_8083Gesicht mit roten Wangen, mit schwarzem Kinn- und Oberlippenbart. Auch der Haaransatz ist erkennbar und in schwarz gehalten. Darüber wird ein Hut getragen, der mit Buchsbaumzweigen und bunten Papierbändern geschmückt ist. Als Kleidung tragen die „Weisbicher Jüd“ ein blaues Hemd, das mit Stickereien und bunten Borten verziert ist. Eine weiße Hose, schwarze Stiefel und ein weißes Tuch um den Hals komplettieren das Ensemble. Damit die so Maskierten unerkannt bleiben, tragen sie unter Hut und Maske noch ein Kopftuch. Jedes Jahr am Faschingssamstag ziehen die „Blaue Jüd“, wie sie auch genannt werden, durch den 480-Seelen-Ort Weisbach, gehen von Haus zu Haus und treiben mit allerhand Krach und Schabernack den Winter aus. Wer etwas auf sich hält, der ist dabei, ebenso bei der „Rhöner Maskenfastnacht“.

 

Die wird seit 2012 als großes Straßenfest in Oberelsbach gefeiert und findet seit 2013 alle zwei Jahre statt. Die örtlichen Vereine kümmern sich um die Bewirtung der Besucher. Auf dem Marktplatz gibt es zudem ein unterhaltsames Bühnenprogramm, das der Rhöner Komiker Fredi Breunig mit seiner Fastnachtspredigt abschließt. Die Rhöner Maskenfastnacht wurde 2017 sogar mit dem Bayerischen Heimatpreis ausgezeichnet. Mehr als 25 Maskierte aus Weisbach waren in diesem Jahr dabei. Große und Kleine „Weisbicher Jüd“- und nicht nur die. Unzählige maskierte Spanmänner, Strohmänner, Bartmänner und Frauen aus den Ortschaften Oberelsbach, Unterelsbach und Ginolfs zogen mit Musik und bei strahlendem Sonnenschein zum Marktplatz, bildeten einen außergewöhnlichen Faschingszug, den Tausende Besucher bestaunten. Eine in der Rhön einmalige Veranstaltung, die als nördlichster Teil der allemannischen Fastnacht gilt.

 

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Tradition der Maskenfastnacht in den Ortschaften um Oberelsbach verwurzelt. Heimatforscher gehen davon aus, dass einst süddeutsche Maskenschnitzer die Rhöner dazu inspirierten, was mit der Gründung der Holzschnitzschule in Bischofsheim 1862 noch verstärkt wurde. Jeder Ort entwickelte im Lauf der Jahre seine eigenen Figuren. Die Weisbacher Juden etwa sollen, so die Überlieferung, bei einem historischen Schauspiel entstanden sein, das auf der Geschichte „Der Auszug der Kinder Israel aus Ägypten“ aus dem Alten Testament basierte.

 

Für den Ort Oberelsbach stehen die Spanmänner und die Strohmänner. Ihre Masken sind ebenfalls als freundliche Gesichter mit weißer Haut, roten Wangen und schwarzen Kinn- und Oberlippenbart gestaltet. Jedoch ist Letzterer mit nach oben gerichteten Spitzen versehen. Die Spanmänner tragen ein Gewand, das, ebenso wie ihr Hut, mit unzähligen Hobelspänen versehen ist. In der Hand halten sie einen großen Gehstock. Den nutzen sie durchaus auch dazu, dem einen oder anderen Besucher des Umzugs einen Klaps zu geben. Um Haar und Hals zu verdecken, tragen die stattlichen Herren unter dem Hut eine Perücke mit beigefarben langen Haaren.

 

Die OberelsbacherDSC_8112 Strohmänner hingegen sind einfach, bäuerlich in blaue Arbeitsjacken und braune Hosen gekleidet, die mit Stroh ausgestopft wurden. Einige verhüllen den Kopf mit Sackleinen, andere tragen dazu noch einfache Hüte. Die Strohmänner fallen während des Umzugs zur Rhöner Maskenfastnacht besonders durch ihr grimmiges Knurren auf. Einige sorgen außerdem mit rasselnden Eisenketten für Krach, andere lassen Weidenruten schnalzen. Auch Frauen sind bei den Oberelsbachern dabei. Diese sind ebenfalls komplett vermummt, tragen bäuerliche Kleidung, ein Kopftuch und eine Frauenmaske. „Kennzeichnend für diese sind der Mittelscheitel am Haaransatz, das zarte Rouge auf den Wangen und das Doppelkinn“, erläutert Daniela Sandner, die Leiterin des Deutschen Fastnachtsmuseums Kitzingen. Sie erklärt bei der „5. Rhöner Maskenfastnacht“ gemeinsam mit Eva-Maria König, der Leiterin des Freilandmuseum Fladungen, Wissenswertes zu den Masken.

 

Besonders prächtig kommen die Unterelsbacher Bartmänner daher. Ihren Kopf schmückt eine bunte Grenadiermütze. Als Gewand tragen sie weiße Hemden und Hosen und darüber einen blau-rot gemusterten Rock, der von einem aufwendig bestickten Gürtel und ebenso prächtig gestalteten Trägern gehalten wird. Komplettiert wird das Kostüm mit einer Langhaarperücke und einer Stola, die nur die Schultern bedeckt. Fachleute vermuten, dass sich bei der Zusammenstellung dieses Kostüms voralpenländische Einflüsse durchgesetzt haben. Die Maske der Unterelsbacher Bartmänner ist von einem großen schwarzen Vollbart gekennzeichnet, gleicht ansonsten den anderen. Bleiben schließlich noch die Ginolfser, die mit ihren hohen und bunten Spitzhüten aus der Menge regelrecht hervorspitzen. Sie erinnern von ihrer Kleidung her an Harlekine, tragen bunte Hosen und Oberteile, die früher mit Stoffresten verziert worden waren. Komplettiert wird ihr Aussehen mit einer Langhaarperücke und der Maske. Kennzeichnend für diese sind der gedrehte Oberlippenbart und der Kinnbart. Auch die Ginolfser Spitzhüte tragen Gehstöcke bei sich und teilen beim Umzug den einen oder anderen Klaps aus.

 

Holzschnitzer Thomas Eyring ist bei der „Rhöner Maskenfastnacht“ ebenfalls dabei, stellt seine Masken sowie einige historische Exemplare in der Elsbachhalle aus. Ein Muss für den Fachmann, der bereits in fünfter Generation diese besonderen Kunstwerke anfertigt. Tochter Melanie Weigand setzt sie mittlerweile als sechste fort. „Wir möchten die Tradition weiterpflegen, damit sie nicht verloren geht“, sagt sie. Staunend stehen die Besucher am Stand, fragen nach, lassen sich Details erklären. Sie erfahren, dass das Holz für die Masken aus der Region stammt, dass Eyring dafür die Sorte Waldlinde bevorzugt. „Weil sie ein zarteres Holz hat und gerader wächst“, sagt er. Nicht nur die Besucher aus der Rhön wollen das wissen, auch etliche Touristen stellen ihre Fragen. Für den Holzschnitzer ist das nichts Außergewöhnliches. „Ich bekomme viele Aufträge von weiter her“, sagt er.

 

Der 56-Jährige ist nicht nur für seine Rhöner Fastnachtsmasken bekannt, sondern auch für seine detailgetreuen Krippen- und Heiligenfiguren. Eine stattliche Auswahl hat er neben den vielen Faschingsmasken, den Standuhren und Drehorgeln in seinem Ausstellungsraum in Weisbach stehen, manche Figuren zieren das Regal in seiner Werkstatt. Hier arbeitet er täglich mit seiner Familie, fertigt neue Kunstwerke. Nur an diesem Faschingssamstag nicht. Da gehen die „Blaue Jüd“ um und treiben den Winter aus. „Einer von uns ist auch immer dabei“, verrät Melanie Weigand. Zum Plaudern haben sie und ihr Vater nun aber keine Zeit mehr. In ihrer Werkstatt ist jetzt Hochsaison, warten zahlreiche Rohlinge darauf, ein Gesicht zu bekommen. Das vom „Weisbicher Jüd“ und anderen.  Autorin: Kathrin Kupka-Hahn

 

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Informationen:

 

Rhöner Holzschnitzerei Thomas Eyring

Rhönbergstraße 75, 97656 Oberelsbach / Ortsteil Weisbach

Telefon: 09774 272

www.rhoener-holzschnitzerei.deexterner Link

 

Im Oberelsbacher Tabakspfeifenmuseum (neben der Kirche) ist noch bis 17. März 2019 eine Ausstellung historischer Rhöner Fastnachtsmasken zu sehen. Das Museum ist mittwochs, samstags und sonntags jeweils von 13 bis 17 Uhr geöffnet, auch am Faschingswochenende. Der Eintritt kostet 1,50 Euro pro Person. Am Sonntag, den 10. März 2019, um 10.30 Uhr führt Eva-Maria König, die Leiterin des Freilandmuseums Fladungen, durch diese Sonderausstellung.